BC: Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments durch Einzeltestament bei letztem Domizil in Kanada

Der Oberste Gerichtshof von British Columbia (The Supreme Court of British Columbia) hat entschieden, dass sich der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments bei letztem Domizil des Testators in Kanada betreffend das bewegliche Vermögen und unbewegliches Vermögen in British Columbia (BC) nach dem Recht von BC richtet. Nach Auffassung des Gerichts betraf dies auch die Frage, ob das gemeinschaftliche Testament Bindungswirkung hat. Auf der Grundlage der Regeln des Rechts von BC entschied das Gericht, dass keine Bindungswirkung bestand und das Einzeltestament das gemeinschaftliche Testament widerrief, so dass gesetzliche Erbfolge eintrat

Siebert Estate (Re), 2025 BCSC 617

Auszug aus den Gründen (Übersetzung):

"B. Welches Recht ist auf die Frage der Widerruflichkeit anzuwenden?

[39] Herr Aulinger macht geltend, dass die Frage der Widerruflichkeit unter Bezugnahme auf deutsches Recht zu entscheiden sei. Er stützt sich dabei auf § 80 Abs. 3 WESA:

80 (3) Die Formgültigkeit eines Testaments, das

a) ein Testament widerruft, das nach diesem Teil als formgültig behandelt würde,

kann nach dem Recht bestimmt werden, nach dem das widerrufene Testament oder die widerrufene Verfügung als formal gültig behandelt würde und das für diesen Zweck relevant ist …

[Hervorhebung hinzugefügt].

[40] § 80 spricht insgesamt nur von der formellen Gültigkeit eines Testaments. Er befasst sich nicht mit der wesentlichen Gültigkeit des Testaments. Mit anderen Worten: § 80 befasst sich nicht mit materiell-rechtlichen Fragen wie der Testierfähigkeit, der Willensbeeinflussung oder der Frage, ob das Testament das Vermögen ordnungsgemäß verteilt.

[41] Die Widerrufung umfasst mehr als die formalen Anforderungen an die Errichtung eines Testaments. Ein formal gültiges Testament, das eine Widerrufsklausel enthält, widerruft nicht zwangsläufig ein vorheriges Testament. Das Gericht muss davon überzeugt sein, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Widerrufung die Absicht hatte, die bestimmte Vermächtnis oder den bestimmten Vorteil zu widerrufen: McCarthy et al. v. Fawcett et al., 1944 CanLII 289 (BC CA), [1945] 1 D.L.R. 545 (B.C.C.A.) auf den Seiten 548‒49.

[42] Mit anderen Worten: Die Wirkung des zweiten Testaments auf das frühere Testament ist in der Regel eine Frage der Auslegung (Perdoni v. Curati, [2011] EWHC 3442 (Ch.) in den Abs. 37‒40; bestätigt (sub nom. Curati v. Perdoni) [2012] EWCA Civ. 1381).

[43] Darüber hinaus kann die Aufhebung in verschiedenen Rechtssystemen unterschiedlichen materiellrechtlichen Vorschriften unterliegen, wie z. B. den Anforderungen an die Aufhebungserklärung (z. B. § 55 WESA), familienrechtlichen Vorschriften (z. B. die Wirkung einer späteren Eheschließung oder Scheidung) und der nachstehend erörterten Doktrin der gegenseitigen Testamente.

[44] In der Tat räumt Dr. Schreiner in diesem Fall ein, dass das Testament von 2019 formal gültig ist, seiner Meinung nach jedoch das Testament von 1995 nicht widerrufen hat. Dr. Schreiner stützt sich dabei auf seine Auslegung des Testaments von 1995 und die im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehenen Mitteilungsvorschriften für den Widerruf einer gegenseitigen Verfügung in einem gemeinsamen Testament. Dabei handelt es sich um materiellrechtliche Fragen des deutschen Rechts und nicht um Formvorschriften für die Errichtung des Testaments von 2019.

[45] Meiner Ansicht nach stellt § 80 Abs. 3 lediglich klar, dass das Gericht auf ein Testament, das ein Testament widerrufen soll, dieselben Formvorschriften anwenden kann, die es auf das angeblich widerrufene Testament anwenden würde. § 80 Abs. 3 enthält keine Rechtswahlregel für die Frage, ob ein Testament widerrufen wurde.

[46] Im vorliegenden Fall sieht § 80 Abs. 3 vor, dass die formelle Gültigkeit des Testaments von 2019 unter Bezugnahme auf das Recht bestimmt werden kann, nach dem das Testament von 1995 anerkannt wurde, d. h. nach deutschem Recht. § 80 Abs. 3 sieht nicht vor, dass die Frage der Aufhebung im vorliegenden Fall nach deutschem Recht zu entscheiden ist.

[47] Frau Oda macht geltend, dass die Frage der Widerruflichkeit unter Bezugnahme auf das Recht von British Columbia zu entscheiden sei. Sie stützt sich dabei auf § 81 WESA:

Rückgriff auf andere Auslegungshilfen

81 Bei der Auslegung eines Testaments, auf das dieser Abschnitt Anwendung findet, kann das Gericht auf das Recht des Ortes zurückgreifen, an dem der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

[Hervorhebung hinzugefügt].

[48] § 81 gibt dem Gericht eine Auslegungshilfe zur Ermittlung der Absichten eines Erblassers. Er stellt klar, dass ein Testament, das nach einer der in § 80 genannten Kategorien als gültig anerkannt ist, unter Bezugnahme auf das Recht des Ortes, an dem der Erblasser seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ausgelegt werden kann.

[49] Die Absichten des Erblassers sind zwar ein wichtiger Gesichtspunkt, aber nicht unbedingt ausschlaggebend für die Aufhebung. Wie bereits dargelegt, können unter bestimmten Umständen zusätzliche Vorschriften für die Aufhebung gelten.

[50] Im vorliegenden Fall stützt Dr. Schreiner seine Meinung nicht auf die Absichten von Frau Siebert zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von 2019. Er scheint anzuerkennen, dass sie das Testament von 1995 aufheben wollte. Wie bereits erwähnt, stützt er sich in seiner Stellungnahme auf seine Auslegung des Testaments von 1995 und die Mitteilungsvorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. § 81 WESA schließt diese Erwägungen des deutschen Rechts nicht aus, sofern sie anwendbar sind.

[51] Ich komme zu dem Schluss, dass das WESA keine Rechtswahlregel für die materiellrechtlichen Aspekte der Widerruflichkeit enthält. Die Frage unterliegt daher den allgemeinen Rechtswahlregeln.

[52] Im Allgemeinen unterscheiden die Kollisionsnormen zwischen beweglichen Sachen (persönliches Vermögen wie Bankkonten) und unbeweglichen Sachen (wie Immobilien): Tezcan v. Tezcan (1992), 1992 CanLII 1075 (BC CA), 62 B.C.L.R. (2d) 344 (C.A.). Für unbewegliche Vermögenswerte gilt das Recht des Staates, in dem sich die unbewegliche Sache befindet. Für bewegliche Vermögenswerte gilt das Recht des Staates, in dem der Verstorbene zum Zeitpunkt seines Todes seinen Wohnsitz hatte.

[53] Diese allgemeinen Kollisionsnormen werden durch § 82 WESA bekräftigt, der vorsieht, dass bewegliche Sachen, die überwiegend oder ausschließlich im Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache genutzt wurden, dem Recht des Ortes unterliegen, an dem die unbewegliche Sache belegen ist:

Recht an einer unbeweglichen Sache

82 (1) Besteht der Wert beweglicher Sachen hauptsächlich oder vollständig in ihrer Nutzung im Zusammenhang mit einem Recht an einer Immobilie durch den Eigentümer oder Besitzer der beweglichen Sachen, so unterliegt das Recht an den beweglichen Sachen nach dem Testament dem Recht des Ortes, an dem die Immobilie belegen ist.

[54] Die einzige von den Parteien angeführte Rechtsquelle, die sich mit den Fragen des vorliegenden Falles befasst, ist Colville Estate (Re), 1931 CanLII 571 (BC SC), [1931] 3 W.W.R. 26 (B.C.S.C.) [Colville]. In diesem Fall hatte der Erblasser in British Columbia ein Testament gemäß den formellen Anforderungen für ein gültiges Testament nach dem früheren Wills Act, R.S.B.C. 1924, c. 274, errichtet. Anschließend zog er nach Kalifornien und errichtete ein eigenhändiges Testament, mit dem er alle früheren Testamente widerrief. Er verstarb später mit Wohnsitz in Kalifornien. Der Nachlassverwalter beantragte eine Entscheidung über die Gültigkeit und Wirksamkeit der beiden Testamente in British Columbia.

[55] Richter MacDonald stellte fest, dass das eigenhändige Testament nach kalifornischem Recht gültig war und unter Anwendung des Vorgängers von § 80 WESA auch für das persönliche Vermögen in British Columbia gültig war. Dementsprechend stellte das Gericht fest, dass das eigenhändige Testament das Testament aus British Columbia in Bezug auf das persönliche Vermögen des Verstorbenen widerrief, und erklärte auf Seite 29:

Was das in Kalifornien errichtete eigenhändige Testament betrifft, so habe ich keine Bedenken, festzustellen, dass es, da es dort gültig war, auch in British Columbia gültig ist. In Bezug auf das bewegliche Vermögen widerruft es das zuvor vom Erblasser in British Columbia errichtete Testament. Unter ähnlichen Umständen kam Richter Orde in der Rechtssache In re Howard (1923 1923 CanLII 463 (ON SC), 54 O.L.R. 109, zu dem gleichen Ergebnis, siehe S. 113, wie folgt:

Es steht außer Frage, dass das eigenhändige Testament das frühere Testament in Bezug auf das in Ontario befindliche bewegliche Vermögen wirksam widerruft oder ersetzt, und zwar aufgrund des Grundsatzes des englischen internationalen Privatrechts, der nach der Maxime „mobilia sequuntur personam” die Gültigkeit eines ausländischen Testaments in England in Bezug auf englisches bewegliches Vermögen anerkennt, wenn es nach dem ausländischen Wohnsitz des Erblassers gültig ist.

Das Ergebnis ist, dass das gesamte persönliche Vermögen des Erblassers in British Columbia gemäß diesem eigenhändigen Testament behandelt und verteilt wird.

[56] In Bezug auf das Immobilienvermögen in British Columbia stellte Richter MacDonald jedoch fest, dass das eigenhändige Testament das Testament aus British Columbia nicht widerruft:

Im oben genannten Fall Howard wurde zwischen Immobilien und beweglichem Vermögen unterschieden, wenn es um deren Veräußerung durch Testament geht, und der Richter sah sich gezwungen, festzustellen, dass er

jedes [ordnungsgemäß] ausgefertigte Testament eines ausländischen Grundstückseigentümers für wirksam zu erklären hat, sofern dieses Testament nicht gemäß den Bestimmungen von § 23 [unser § 17] des Wills Act widerrufen wurde.

Er fügte hinzu:

Mit anderen Worten: Wenn unsere Gerichte über das Eigentumsrecht an dem betreffenden Grundstück zu entscheiden haben, behandeln sie die Angelegenheit ohne Rücksicht auf den ausländischen Wohnsitz des verstorbenen Eigentümers und suchen zu diesem Zweck nach testamentarischen Verfügungen, die nach dem Recht von Ontario für Immobilien in Ontario gültig sind, und setzen diese um. Für unsere Gerichte ist dies keine testamentarische Frage, sondern eine Frage des Eigentumsrechts ... Es ist seltsam, dass dieser klare Punkt, den ich so ausführlich erörtert habe, meines Wissens bisher weder von einem Gericht noch von einem Lehrbuchautor eindeutig entschieden oder formuliert wurde.

Dieser Fall wurde 1923 entschieden, und es wurden keine Autoritäten oder Argumente vorgebracht, die mich davon abhalten würden, dem Urteil zuzustimmen. Meiner Meinung nach wurde das in British Columbia errichtete Testament nicht widerrufen und ist gültig. …

[57] Nach meinem Verständnis hat das Gericht in der Entscheidung Colville die Frage entschieden, ob das eigenhändige Testament das britisch-kolumbianische Testament in Bezug auf das persönliche Vermögen nach dem Recht des Wohnsitzes des Erblassers und in Bezug auf das Immobilienvermögen nach dem Recht des Ortes, an dem sich das Vermögen befand, widerrufen hat.

[58] Das WESA hat die Vorschriften für die Anerkennung der Gültigkeit von Testamenten, die nach anderen Rechtsordnungen errichtet wurden, aktualisiert. In § 80 WESA wird für die Zwecke der formellen Gültigkeit nicht mehr zwischen beweglichem Vermögen und Immobilien unterschieden. Die grundlegenden Rechtswahlregeln in Colville bleiben jedoch meiner Ansicht nach in Bezug auf die materiellrechtlichen Aspekte der Widerrufbarkeit weiterhin gültiges Recht.

[59] Diese Kollisionsnormen spiegeln sich in der folgenden Passage aus Estate Disputes in British Columbia: A Litigator’s Guide (Vancouver: Continuing Legal Education Society of British Columbia, 2024) (lose Blatt-Überarbeitung 2024), § 4.19 wider (der Verweis auf Walker bezieht sich auf Janet Walker, Canadian Conflict of Laws, 7. (Lexis Nexis)

Das Recht des Wohnsitzes des Erblassers zum Zeitpunkt der angeblichen Widerrufung durch die Vernichtung eines Testaments, das über bewegliche Sachen verfügt, unterliegt dem Recht des Wohnsitzes des Erblassers zum Zeitpunkt der Vernichtung (Walker, Kapitel 27.4(h)); Morton v. Christian, 2014 BCSC 1303 (Chambers)). Bei einem Testament, das über Immobilien verfügt, kann es sich entweder um den Wohnsitz des Erblassers zum Zeitpunkt der Vernichtung oder um das Recht der Gerichtsbarkeit handeln, in der sich die Immobilien befinden (Walker, Kapitel 27.4(h)).

[60] Ich komme zu dem Schluss, dass die Frage, ob das Testament von 2019 das Testament von 1995 widerrufen hat, für Immobilien und bewegliches Vermögen, das mit diesen Immobilien in Verbindung steht, nach dem Recht des Ortes der Belegenheit der Immobilien und für nicht damit verbundenes bewegliches Vermögen nach dem Recht des Wohnsitzes von Frau Siebert zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von 2019 zu entscheiden ist.

[61] Herr Aulinger hat noch keine Aufstellung des Nachlassvermögens in diesem Fall erstellt. Er gibt an, dass er als Nachlassverwalter eine Vollmacht benötigt, um alle Vermögenswerte zu ermitteln. Die Parteien sind sich jedoch einig, dass der Hauptnachlass in Kanada die Immobilie in Lister, British Columbia, ist.

[62] Ich stelle fest, dass die Frage der Aufhebung in Bezug auf die Immobilie in Lister unter Bezugnahme auf das Recht von British Columbia zu entscheiden ist.

[63] Aus diesem Antrag geht hervor, dass Frau Siebert zum Zeitpunkt der Erstellung des Testaments von 2019 ihren Wohnsitz in British Columbia hatte. Sie verlegte ihren Hauptwohnsitz 1993 nach British Columbia. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie beabsichtigte, nach Deutschland zurückzukehren. Frau Oda sagt aus, dass Herr Siebert ihr mitgeteilt habe, dass er und Frau Siebert von 1993 bis zum Tod von Frau Siebert im Jahr 2019 ihren ständigen Wohnsitz in British Columbia hatten. In der Todesanzeige von Frau Siebert heißt es:

„Sie wurde 1964 in München geboren und wanderte mit ihrem Ehemann Johannes in die East Kootenays aus, wo sie viele wundervolle Jahre verbrachte, die Natur genoss, wo immer sie konnte angelte, ihre Pferde liebte und eine wunderbare Gemeinschaft von Freunden hatte.“

[64] Ich stelle fest, dass Frau Siebert zum Zeitpunkt der Erstellung des Testaments von 2019 ihren Wohnsitz in British Columbia hatte.

[65] Aus diesen Gründen komme ich zu dem Schluss, dass die Frage, ob das Testament von 2019 das Testament von 1995 widerrufen hat, unter Bezugnahme auf das Recht von British Columbia zu entscheiden ist."

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